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Kolumne

Wer missioniert hier?

Veganer*innen missionieren, heisst es. Dabei ist es vielmehr die Tierindustrie, die uns ihren Willen aufdrücken will.

Text: Tier im Fokus (TIF)

Irgendwann sage ich es. Spätestens wenn ich zum Essen eingeladen bin oder wenn wir im Restaurant sitzen. Ich lebe vegan. Seit fast acht Jahren lehne ich den Konsum tierlicher Produkte aus ethischen und ökologischen Gründen ab. Tiere sind für mich Lebewesen, keine Lebensmittel. Mein Outing wird bisweilen als missionarisch aufgefasst.

Ich will meine Meinung niemandem aufdrücken. Ich wünschte, daran würde sich auch die Fleischindustrie halten. Ich werde täglich mit Werbung für Fleisch, Milch und Eier konfrontiert – ungefragt. Neulich richtet sich mein Blick im Bahnhof auf ein riesiges Ei. Es befindet sich auf einer Werbefläche in der Unterführung. Darüber der knackige Slogan «Auf die inneren Werte kommt es an». Soso, denke ich. Auf die inneren Werte kommt es der Eierindustrie sehr wohl an. Nämlich ob die designierten Legehühner weiblich oder männlich sind. Sind sie männlich, werden sie gleich nach der Geburt vergast. So ergeht es in der Schweiz drei Millionen Bibili. Fünf Meter weiter die nächste Werbung. Dieses Mal wird mir eine Cervelat ins Gesicht gedrückt. Schweizer Tradition, steht da – meine ist es freilich nicht.

Fleisch- und Milchwerbung haben in der Schweiz seit jeher Tradition. Wer kennt den Spruch nicht, ja er verkörpert die Swissness schlechthin: «Schweizer Fleisch – alles andere ist Beilage». Dass auch für Schweizer Fleisch Soja aus Brasilien importiert wird, Gülle hiesige Gewässer verschmutzt und bei uns pro Sekunde 2.5 Tiere getötet werden, sagt uns die Werbung nicht. Nein, Proviande, der Schweizer Branchenverband der Fleischindustrie, klotzt mit Werbesprüchen, welche die Schweizer Tierhaltung mittels Werbung in ein regelrechtes Heidiland verwandelt – wohlgemerkt mit unseren Steuergeldern berappt. Wussten Sie nicht? Aber sicher, Proviande erhält vom Bund jährlich 6 Millionen Steuerfranken für Fleischwerbung.

Wussten Sie, dass irreführende Werbung durch die Schweizerische Lauterkeitskommission toleriert wird? Kennen Sie die Bilder glücklicher Schweine, die im Schlamm suhlen, auf der Weide spielen oder mit dem Rüssel den Boden umpflügen? Das existiert in der Schweinemast praktisch nicht. Doch die Werbung darf diese Bilder zeigen, als wären sie die Norm. Viele Schweine kommen während ihres kurzen Lebens nie aus dem Stall. Sie vegetieren in Betonbuchten, ohne Tageslicht. Trotzdem darf die Fleischindustrie mit glücklichen Tieren auf saftigen Wiesen werben. Zugespitzt lautet die Begründung der Lauterkeitskommission: Wenn von 1.000 Schweinemastanlagen ein Betrieb seine Säuli auf die Weide lässt, sind solche Werbebilder nicht irreführend.

Auch Swissmilk rührt mächtig die Werbetrommel. Die Branchenorganisation bringt die Kuhmilch ins Schulzimmer, stellt Unterrichtsmaterial zur Verfügung und lernt uns von klein auf: Milch macht stark! Wer darunter leidet, sind Kuh und Kalb. Wussten Sie, dass eine «Milchkuh» jährlich besamt wird? Doch natürlich, nämlich künstlich – bei Bio übrigens genauso. Der Kuh wird ihr Kalb meist in den ersten Stunden oder Tagen entrissen, denn die Muttermilch ist nicht für ihr Kalb, sondern für den Menschen. Das männliche Kalb landet nach wenigen Wochen auf der Schlachtbank. Das Leben einer typische Milchkuh endet bereits nach sieben Jahren, wenn die Leistung der Turbokühe nachlässt. Aber zurück zu Swissmilk. Kennen Sie Lovely? Lovely ist das Maskottchen von Swissmilk. Ja, das ist die Kuh, die in der Werbung Skispringt, Velofährt und mit dem Fussball jongliert! Lovely existiert natürlich nicht. Sie ist seit 25 Jahren das Maskottchen von Swissmilk. Wäre sie eine Milchkuh, hätte man sie vor 18 Jahren ins Schlachthaus gekarrt. Für Lovely spricht der Bund 2019 8.6 Millionen Franken.

Ich vermiese Ihnen ihren Schweinebraten nicht. Doch wenn Sie mich fragen – und das tun die meisten – warum ich vegan lebe, werde ich meine Stimme stets für Tier und Umwelt erheben und die triste Realität aufzeigen. Die Tiere sind ihrem Schicksal ausgeliefert und haben keine Lobby – die Tierindustrie schon. Der Bund investiert Millionen für Fleisch- und Milchwerbung. Die Interessenverbände wissen diese Gelder gut einzusetzen: Sie leugnen die Massentierhaltung und propagieren eine Landwirtschaft wie zu Gotthelfs Zeiten. Tatsächlich leben die Tiere in Massentierhaltung. 76 Millionen Tiere werden hierzulande jährlich zu Wurst, Salami und co. verarbeitet. Wenn Veganer*innen Missstände in der Tierindustrie aufdecken und den Tieren eine Stimme geben, wird ihnen missionarisches Verhalten vorgeworfen.

Ich bin froh, aus der Illusion Heidiwelt ausgetreten zu sein. Ich lasse mich nicht mehr von Lovely blenden. Wäre Lovely eine Kuh fernab der Nutzung, könnte sie heute noch leben. Kühe werden bis zu 30 jährig. Wovon ich träume? Dass Kühe, Schweine und Hühner ein Leben auf einer saftigen Wiese führen dürfen. Frei von Nutzen. Leben und leben lassen in seiner reinsten Form. Entscheiden Sie für sich, ob das einen missionarischen Charakter hat.

Dieser Text ist zuerst im Bieler Tagblatt erschienen.

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